Offener Brief an die Redaktion von „Panorama“, NDR und ARD zur Sendung vom 08.09.2022

Railroad Crossing

Offener Brief an die Redaktion von „Panorama“, NDR und ARD

Regionalgruppe Ostheide des Landesverbands Bürgerinitiativen Umweltschutz (LBU) Niedersachsen,
Varendorfer Str. 24, 29553 Bienenbüttel
0151-11201634 - eckehard.niemann@gmx.de

Deutsche Bahn: Schienennetz vor dem Kollaps
Mehr Baustellen, mehr Verspätungen. Die Bahn steht vor dem Kollaps. Warum sind die Probleme nicht längst behoben?

Auf diese Fragen sollte die PANORAMA-Sendung am 8.9.2022 eigentlich Antwort geben. Herausgekommen ist bei dieser Sendung von Marie Blöcher, Nils Naber und Isabel Schneider (allesamt nicht als Verkehrskundige ausgewiesen) ein Bericht über die exemplarischen Gleis-Engpässe zwischen Hamburg und Hannover, der wie eine Auftragsarbeit für die auf Neubaustrecken erpichte Deutsche Bahn AG anmutet. Wir beziehen uns hier auf den gesprochenen Wortlaut der Sendung und nicht auf einen parallelen schriftlichen ARD-Text, der ganz offensichtlich versucht, einige der im Wortlaut enthaltenen Schnitzer „auszubügeln“:

Richtig immerhin die Feststellung zu Beginn des Beitrags, dass zwar mehr Züge fahren sollen, dass aber in den letzten Jahren keine oder zu wenige Gleise gebaut wurden und dass die vorhandenen oft auch noch marode seien. Der dazu befragte Prof. Christian Böttger (HTW Berlin) kommt zu der „Erkenntnis“, dass die Misere „menschengemacht“ sei – und begründet dies – überraschend naiv – damit, dass die früheren Verkehrsminister aus Angst vor dem Ärger mit den jeweiligen Finanzministern davor zurückgeschreckt seien, mal 10 Milliarden extra für die Bahn zu fordern. Also kein Problem der Regierungen und der Lobby, sondern eher eins der zu großen Ängstlichkeit von Andy Scheuer und Co. …

Die PANORAMA-RedakteurInnen haben noch einen Schuldigen ausgemacht: die Politiker in Niedersachsen, die zwar die Notwendigkeit von zusätzlichen Gleisen zwischen Hamburg und Hannover sehen würden, aber vor dem Ärger und Protest von WählerInnen und Bürgerinitiativen „verantwortungslos“ zurückschrecken würden.

Dies sei, so PANORAMA, schon vor 20 Jahren bei den Plänen der Deutschen Bahn für eine Y-Neubaustrecke entlang der A 7 angeblich so
gewesen. Noch schlimmer ist, wie falsch und verkürzt PANORAMA dann das Celler „Dialogforum Schiene Nord“ abhandelt: Da hätten sich angeblich „Land und Bund“ auf einen „kleinen Kompromiss Alpha E mit möglichst wenig neuem Schienenbau“ geeinigt. Unglaublich, dass PANORAMA verschweigt oder nicht weiß oder wissen wollte, dass es sich hier gerade um einen nach langen sachbezogenen Beratungen und Verkehrsexpertisen mühsam erarbeiteten Kompromiss handelte, der beispielhaft eine demokratische Bürgerbeteiligung mit der Beteiligung von Vertretern der Kommunalpolitik und der Bürgerinitiativen und Verbände umsetzte. Und dessen Ergebnis Alpha (Ausbau der vorhandenen Bestandsstrecken) beileibe nicht nur Bund und Land zustimmten (wie PANORAMA behauptet), sondern auch die Deutsche Bahn, die diesen Vorschlag eingebracht hatte und deren Gutachter diesen Ausbau als ausreichend für die vorhandenen und kommenden Güter- und Personenverkehre bestätigten.

Dieser immer noch bestehende Plan Alpha E beinhaltet ein 3. Gleis zwischen Lüneburg und Uelzen zur Ermöglichung von Überhol- Vorgängen (deshalb punktuell z.B. innerhalb von Orten ggf. auch ohne 3. Gleis). Aber darüber hinaus sieht Alpha E ja auch den Ausbau paralleler Bahnstrecken (als Ausweich-Strecken) im Dreieck Hamburg-Bremen- Hannover vor sowie den Ausbau der „Amerikalinie“ zur Verlagerung von Nord-Süd-Güterverkehren auf eine östlich gelegene bestehende Nord- Süd-Trasse der Bahn. Vor allem aber wurde der Ausbau der Bahn- Knoten Hamburg und Hannover gefordert, weil gerade hier die Ursache von Verzögerungen und Verlangsamungen lag und liegt.

Dieses Konzept Alpha E aber interessiert PANORAMA offenbar wenig – es wird nur als „etwas Modernisierung“ abgetan. Damit nicht genug, kommt nun eine kühne Behauptung von PANORAMA hinzu: Schon 2016 habe man im (zuvor ja gescholtenen) Bundesverkehrsministerium gemerkt, dass dieser angeblich „kleine Kompromiss“ Alpha E mit dem 3. Gleis nicht ausreiche, so dass man dort diesen Kompromiss verworfen habe und einen neuen Plan mit der angeblichen Notwendigkeit von zwei zusätzlichen Gleisen entworfen habe. Der aktuell im Bundesverkehrsministerium zuständige Staatssekretär Theurer (FDP) darf dann in PANORAMA erstmals so offen die Behauptung verkünden, dass Alpha E mit dem 3. Gleis nicht ausreichen werde.

Der Verdacht, dass PANORAMA sich als Sprachrohr der Deutschen Bahn AG betätige, erhärtet sich gerade an dieser Stelle: Denn die angebliche Planung und Darstellung von zwei neuen Gleisen auch entlang der Bestandstrecke (und das nicht nur zwischen Lüneburg und Uelzen sondern zwischen Stelle und Celle) hat die Deutsche Bahn selber bisher nicht in die Öffentlichkeit gebracht. Daran ändert sich auch nichts durch die Tatsache, dass PANORAMA die Möglichkeit des Baus von 2 Zusatzgleisen nicht nur entlang der Bestandsstrecke verortet, sondern auch in Form von Ortsumgehungen oder entlang der A 7.

Aber, so ja der Tenor des PANORAMA-Beitrags, da bleibe der „Ärger“ mit den Bürgerinitiativen (die hier als relativ borniert erscheinen) und mit der Politik, diesen Ärger scheue. Zu dieser Engsicht der Probleme kommt die PANORAMA-Crew wohl auch deshalb, weil sie das vom damaligen SPD-Landesverkehrsminister Lies einberufene und durchaus konfliktträchtige Dialogforum mit seiner ehrlichen und sachbezogenen und für alle schmerzhaften Kompromiss-Lösung nicht kennt oder kennen will. In seiner kurzen Zeit für ein Statement betont der Landesverkehrsminister Althusmann zwar, ehe man über Neubautrassen rede, solle man doch erstmal das umsetzen, worüber man im Dialogforum jahrelang gerungen und worüber man einen Kompromiss erreicht habe. Er hätte bei genügend Zeit sicher auch noch gesagt, dass dieser Bestandsausbau ja rasch und ohne jahrelange Verzögerungen durch Raumordnungsverfahren zu einer Lösung der Probleme führen würde.

PANORAMA sendet stattdessen weiter mit der ja unbelegten Bahn-Behauptung, dass Althusmann mit dem „alten Kompromiss, der längst für untauglich erklärt“ sei, in den Wahlkampf ziehe. Immerhin kann Althusmann noch deutlich sagen, dass es zerstörerische Neubaupläne mit der Zustimmung der gesamten Landesregierung nicht geben werde und man dem alles entgegensetzen werde.

So wird denn stattdessen auch wieder jemand von der Deutschen Bahn interviewt – der ehemalige Konzernbevollmächtigte Ingulf Leuschel – diesmal mit der unbelegten Behauptung, man müsse ja im Falle eines bloßen Bestandsausbaus entlang der Bestandsstrecke angeblich
„Häuser abreißen“.

Der PANORAMA-Beitrag endet mit der Aussage, dass die „Fleißarbeit“ der Bahn zu Neubaustrecken wohl in der Schublade landen werde, weil
„die Politik zu bequem“ sei. Indirekt also, wenn auch von PANORAMA bestimmt nicht so gemeint, eine Ermunterung für alle in Niedersachsen, die sich massiv für „Ausbau statt Neubau“ einsetzen und dies auch durch ein Gutachten des – wirklich bahnunabhängigen – Gutachters Vieregg belegen können: Alpha E reicht wirklich aus, zumal man durch Digitalisierung das neue Ausweichgleis besser nutzen und die Abstände zwischen den Zügen deutlich verringern könne. Und außerdem sind nach dem Klimaschutzgesetz und nach dem Urteil des

Bundesverfassungsgerichts ja auch die Klima-Kosten von Verkehrs- Neubau-Projekten zu berücksichtigen. Auch davon bei PANORAMA kein Wort…

Wäre das alles nicht Grund genug einen weiteren, weniger einseitigen PANORAMA-Beitrag zum Thema – ohne Deutsche-Bahn-Gläubigkeit?

Nachtrag: Nicht nur dieser PANORAMA-Beitrag führt zu der Frage, was denn bei den Verantwortlichen dieser ja renommierten und verdienstvollen Sendung los ist. Denn in der gleichen Sendung (Wortlaut) wird außerdem ein total einseitiger Lobgesang auf die Agro- Gentechnik gesendet. Darin wird behauptet, „die“ Wissenschaft sei sich über deren Vorteile einig. Über Wissenschaftler, die begründet vor den Gefahren dieser „grünen“ Gentechnik und der vielbejubelten
„Genschere“ warnen, und über deren Argumente kein Wort. Und dies ist auch mitnichten dadurch zu entschuldigen, dass manche Umweltverbände und Politiker ebenso undifferenziert und platt die
Gefahren der Gentechnik skandalisieren…

https://daserste.ndr.de/panorama/index.html